Russland von innen

Leben in Zeiten des Krieges

Paul Krisai, Miriam Beller

Paul Zsolnay Verlag Ges.m.b.H., Wien 2023

198 Seiten

ISBN 978-3-552-07369-2

Es gibt Tage, die die Welt verändern

schreiben Miriam Beller und Paul Krisai in ihrem Vorwort. Es ist der 24. Februar 2022, der nicht nur sie sondern die Welt erschüttert. Russland überfällt mit einem militärischen Schlag die Ukraine und leitet damit den Krieg ein, der verharmlosend eine „militärische Spezialoperation“ genannt werden muss. Es scheint, als ob die Uhren stillstehen bleiben.

Die beiden Journalist*Innen stehen vor vollendeten Tatsachen, die Putin damit geschaffen hat. Ab diesem Moment müssen sie unter enormem Druck arbeiten, um der westlichen Welt ihre Eindrücke und Einschätzungen zu schildern, so gut es ihnen möglich ist. In Videobeiträgen, in Berichten. In den Tagen und Monaten danach kommen sie laufend mit Menschen in Kontakt, die auf diesen Überfallsakt unterschiedlich reagieren. Nach dem ersten Schock beginnen sie alle ihr Leben irgendwie weiterzuleben. Zwischen Rückzug ins Private, der Flucht zurück nach Russland oder einer Verschleppung dorthin. Diejenigen, die in ein benachbartes Land flüchten, versuchen, entweder von dort aus Widerstand zu leisten oder eine neue Sprache zu erlernen, sich zurechtzufinden in diesem Chaos, das psychische und physische Spuren hinterläßt. Manchen gelingt es noch in ein sicheres Land Europas oder noch weiter zu kommen.

Beller und Krisai kennen auch selbst die Angst in Gefahr zu geraten, verhaftet zu werden oder das Land verlassen zu müssen. Ihre bisherige Berichtsarbeit seit 2019 hat ihnen lange gezeigt, wie Russland immer mehr politische Repression ausübt, aber auch mit militärischer Aggression auftritt und strenge Zensur ausübt.

Viele der Gespräche mit Menschen sind erstaunlich, manche kritisch gegenüber Putin, obwohl klar ist, dass das schwerwiegende Konsequenzen haben könnte oder solidarisch mit jenen, die Widerstand leisten. Viele loben Putin und scheinen dankbar zu sein. Mit jedem Monat wird immer spürbarer, dass jede Abweichung oder Kritik die Gefahr von hoher Strafe auslösen kann. AktivistInnen, KünstlerInnen, Menschen der LGBT-Community leben in ständiger Gefahr.

Was sich draußen in der Welt abspielt, welche Rolle der Westen, die EU und die NATO spielen, sind für die beiden fast wie Nachrichten aus einer anderen Welt. Immer und überall sind sie selbst der massiven Propagandamaschine Russlands ausgesetzt. Um weiterarbeiten zu können, braucht es nicht nur Mut, sondern auch den Austausch miteinander, um zu reflektieren, was Zug um Zug geschieht in diesem Krieg, im Inneren, auch dem eigenen, und im Außen.

Der Satz aus dem letzten Absatz wirft ein scharfes Licht auf die Situation: „Die einzige Konstante in Russland nach 2022 scheint die völlige Unvorhersehbarkeit zu sein“.

Nach ihrer intensiven Arbeit für das Korrespondentenbüro in Moskau sind sie mit einem Lese-Road-Trip zu ihrem Buch durch Österreich getourt, um „Russland von innen“ live vorzustellen. Zu Recht haben ihre Auftritte großes Interesse gefunden. —

Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Transparenz: Das Rezensionsexemplar wurde dankenswerterweise vom Verlag zu Verfügung gestellt. Kein Honorar.