Die Wut, die bleibt
Roman
Mareike Fallwickl
Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg, 2022
372 Seiten
ISBN 978-3-499-00912-9


Angst, Schmerz, Verzweiflung und die wilde Zärtlichkeit
Der verzweifelte Schmerz nach diesem Selbstmord von Helene geht durch alles, was der Mensch nur hat. Lola versucht, in diesem Chaos, das sie und ihre Familie trifft, die „Coole Socke“ zu sein. Und läßt ihre kleinen Brüder nachts an sie gekuschelt, um sie zu schützen. Der Selbstmord von ihrer Mutter, Helene, – die aufsteht nach dem Essen und einfach springt – ist der Eingang zu Hölle. Sarah, ihre Freundin, Leon ihr Partner, Johannes, der Mann von Helene, es gibt niemanden, der davon verschont ist. Und versucht, auf seine Weise das zu tun, was man so schön als „damit umzugehen“ bezeichnet. Aber wie? Was kommt dann? Wenn nichts mehr ist, wie es war? Raus aus der Schock- und Schmerzstarre? Am Skateboard? Oder mit dem Schnuller im Mund wie Lucius, Schweigen über und Schweigen zu…Lolas Wut zerbricht die unendliche Zerstörtheit.
Sarah kann ohne Helene nicht leben. Lola kann ihre Trauer nicht leben. Johannes und die Kinder auch nicht. Je länger Sarah in Helenes Haushalt bleibt, umso mehr verschmilzt sie mit der Familie und entfernt sich von ihrem eigenen Leben. Es ist so, als ob sie in die Haut von Helene schlüpfen würde.
Lola weiß nicht, wie sie mit allen Emotionen umgehen sollen. Zwischen dieser Verzweiflung und explodierenden Wut auf ihre Mutter und ihr ganzes Leben bleibt wenig Platz für alles andere. Aber die Gespräche mit Sarah beginnen sich immer mehr, um Lolas Kampf für den Feminismus und den gegen das Patriarchat zu drehen, darüber hätte Lola mit Helene wohl kaum reden können.
Die Grenzen verschwimmen immer mehr und mehr. Sarah redet mit Helene, dem Geist, die ihr bei der Arbeit zusieht und gibt ihr eigenes Leben mehr und mehr auf. Lola und Sunny skaten nicht mehr stundenlang ohne Ziel und Sinn, Lolas Wut findet ein Ventil, ohne sich selbst zu verletzen. Sie liebt ihre neue Kraft und die Frauen, mit denen sie gemeinsam Männer attackieren – um ihre ermordeten Schwestern zu rächen. Johannes und Leon verschwimmen zwischen den Frauen. Maxi und Lucius finden Trost und Wärme.
So viele Leben mit so vielen Chancen nach so viel Schmerz und Wut. Wer sie alle begleiten möchte, bei Bewältigung der Trauer, bei dem Kampf für Emanzipation der jungen Frauengeneration, bei dem Abschied voneinander, Seite um Seite, wird es bis zum Ende lesen wollen.
Ein Buch, das tief unter Haut geht, vielleicht sogar noch tiefer, dorthin, wo es berührt. —

Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Transparenz: Das Belegexemplar wurde dankenswerterweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Kein Honorar.