Ich schreib für Dich und jedes Wort aus Liebe

Helga und Ilse Aichinger, Briefwechsel zwischen Wien und London: 1939-1947

Hsg: Nikola Herweg

Edition Korrespondenzen, 2021

377 Seiten

ISBN 978-3-902951-63-2

Zum 100. Geburtstag von Ilse Aichinger ist dieses Buch 2021 erschienen. 

In jeder Zeile dieser Briefe beschreiben sie nach und nach selbst, welche schrecklichen Auswirkungen der Nationalsozialismus auf ihr Leben hat. 

Gelingt es noch, Helga mit einem Transport rechtzeitig nach England zu bringen, bleibt Ilse mit der Mutter in Österreich zurück. Die Lebensbedingungen sowohl in England wie auch in Österreich werden Zug um Zug immer härter und grausamer. Der munter anmutende Plauderton zu Beginn ihrer Briefe – mit den oft kindlichen Zügen – zeigt dennoch zwischen den Zeilen, dass Helga lange Zeit nirgendwo ein wirkliches Zuhause, Geborgenheit oder  finanzielle Einnahmsmöglichkeiten für eine gesicherte Existenz findet, angewiesen auf fremde Menschen und bis auf eine Tante auf sich gestellt. 

Ilse in Wien wird durch das Vorgehen der Nationalsozialisten Zug um Zug, immer mit dem Bemühen, ihre Mutter zu schützen, aller Möglichkeiten beraubt, sich gegen die Gewalt des Regimes zu schützen. Nur die Schwedenmission, in der sie mit anderen jungen Menschen ein wenig Schutz findet, bleibt noch für eine kurze Zeit ein Ort, in dem so etwas wie Wärme und Gemeinsamkeit möglich ist.

Die dramatischen politischen Entwicklungen zwischen den Briefen beschreiben, welchen brutalen Repressalien sie alle ausgesetzt wurden. Ohne Chance, ihnen zu entgehen oder sich gegen sie offen zu wehren. 

Ilse versucht über lange Zeit der folgenden Jahre den Kontakt zu Helga aufrecht zu halten, immer verzweifelter, weil nicht nur der Briefverkehr immer schwieriger wird, die Post oft lange Zeit unterwegs ist. Auch, weil sie spürt, dass Helga in einer schwierigen Lebensphase ist. Sie selbst ist permanenter Entwurzelung ausgesetzt und existenzieller Not.

Ilse beginnt, zu schreiben, anzuschreiben gegen die Verzweiflung, gegen die scheinbare Ausweglosigkeit. Die Kriegsjahre machen es fast unmöglich, neben dem Kampf um die nackte Existenz, auch als Literatin und Schriftstellerin Fuß zu fassen. 

Wie es dennoch nach vielen Jahren gelingt, einander wiederzusehen, in lange entbehrter Umarmung wieder die Nähe zu finden, tröstet als Lesende, obwohl der Schmerz bleibt, den das Miterleben der beiden Frauen in ihren Briefen in sich birgt. 

Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ bleibt unvergessen. Ebenso wie die bildkünstlerischen Werke von Helga Michie, der Zwillingsschwester. —
Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Transparenz: Das Buch wurde selbst gekauft. Kein Honorar.