Eine Abrechnung

Über die Heuchelei

Paul Lendvai

Paul Zsolnay Verlag 2024

185 Seiten

ISBN 978-3-552-07391-3

Zeugenschaft und Heuchelei

Paul Lendvais Auseinandersetzung mit der Heuchelei schildert in den einzelnen Beträgen, wo er ihr begegnet ist. Nicht immer persönlich, aber immer dort, wo er sie erkannt und entlarvt hat. Als sorgfältiger Beobachter der Politik und des Weltgeschehens deckt er auf, wie Menschen sich blenden lassen, ganz offensichtlich einem falschen Ideal hinterherlaufen oder selbst ihre Machtgelüste damit ausleben. Wie oft sich selbst bekannte Intellektuelle täuschen ließen, den Mächtigen dieser Welt gute Eigenschaften zugeschrieben haben, einem System anheim gefallen sind, hat ihn nicht erstaunt. Er beschreibt es leidenschaftslos. Zu hinterfragen, weshalb sie sehr oft ein durchschaubares Spiel mitspielen, Wohlwollen und Anerkennung zollen, obwohl erkennbar ist, dass dahinter ein Machtsystem, eine Diktatur steht, wird nicht mehr aufgeklärt werden können und besteht auch weiterhin. Wie leicht sind Menschen zu verführen? Wann schweigen sie, um sich nicht einer Konfrontation stellen zu müssen?

Ist die Geschichte der Sowjetunion und ihrer Machthaber ein „Sonderfall“ und Putin nur eine unendliche Fortsetzung, der selbst Heuchler ist und von Heuchlern oder blind bleibenden Befürwortern umgeben ist? Und wer aller täuscht nach wie vor Wähler*Innen auf der ganzen Welt über verursachte Katastrophen, über Leid und Elend, mit unverschämter Heuchelei?

Lendvai ist Zeuge auch jener Politiker*Innen, die sich nicht irritieren ließen und zum Beispiel einen anderen Weg in der Ostpolitik eingeschlagen haben wie Willi Brandt oder einem Mann wie George Soros, der als Philantrop trotz Orbans heftigem Widerstand für eine offene Gesellschaft und einen friedlichen Wandel in Osteuropa steht. Sind sie die seltenen Ausnahmen?

Er erlebt aber auch immer wieder die sogenannten „neuzeitlichen clerc, die intellektuellen Wendehälse“. Die zahlreichen politischen Verträge sind nur zu oft ein Zeugnis der Kompromisse, die auf dem Papier vertrocknen und von neuen Verträgen wieder ausgehebelt werden. Politik scheint die beste Spielwiese zu sein, um immer wieder Machtspiele von Stapel zu lassen, Krieg und Frieden zu inszenieren und denen, die der Politik ausgeliefert sind, Sand in die Augen zu streuen. Als Paradebeispiel perfekter virtuoser Heuchelei stellt er Sebastian Kurz in den letzten Zeilen seines Buches vor.

Es ist Paul Lendvais klare Abrechnung mit der Heuchelei, die nicht auszurotten scheint und hinter der sich weltweit Machtgelüste, Korruption und gefährliche Täuschungsmanöver verbergen. —

Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger

Transparenz: Das Rezensionsexemplar wurde dankenswerterweise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Kein Honorar.

Hier geht es zur Hörrezension:

https://die-hoerrezension.letscast.fm/episode/ueber-die-heuchelei