Professor Hieronimus
Amalie Skram
Roman
Guggolz Verlag Berlin, 2016
461 Seiten
ISBN 978-3-945370-07-0
Wenn der Wahnsinn wahnsinnig macht
Als Künstlerin in eine Schaffenskrise zu geraten und deshalb in einer psychiatrischen Klinik zu landen bringt Else in eine fast ausweglos scheinende Situation. Ist es ihr Wahnsinn oder macht sie der Wahnsinn der anderen wahnsinnig? Die Psychiatrie des 19.
Jahrhunderts hielt Menschen unter unwürdigsten Bedingungen gefangen, entrechtet, eingesperrt, ausgeliefert. Wie gelingt die Befreiung, ist es die Kunst, die die Freiheit des Geistes schafft oder der unbändige Wille, sich nicht zu unterwerfen? Der berühmte
Professor Hieronimus, zu dem sie gebracht wird, ist Herrscher über sein Patientinnengut, wird zum Herren über Elses Leben. In der Klinik, die ein Gefängnis ist, treiben Ängste, Verzweiflung, Hoffnung ihr gnadenloses Spiel mit ihr, ohne die Chance, von dort – und sich selbst – zu entkommen. Else kämpft mit all ihren Kräften gegen das unsichtbare, unentwirrbare Netz, das die Pflegekräfte und die MitpatientInnen um sie spinnen.
Beziehungen werden zu schmerzhaften Fesseln, die dennoch Halt geben. Nur Professor Hieronimus bleibt der unantastbare Gott und Herrscher in seiner Klinik. Er dominiert ihr Leben unerbittlich, auch nach ihrer Verlegung in ein anderes Pflegeheim, gefangen in ihrem Hass gegen ihn. Die „Freundschaften“, die unter den Patientinnen entstehen, sind der einzige Halt, um nicht in Depression und Verzweiflung zu versinken, sich vollkommen ausgeliefert zu fühlen und aufzugeben. Bevor ihr Leben draußen zu verschwinden droht, das ihr in den Erinnerungen tiefen Schmerz bereitet, schafft Else es mit letzter Kraft, sich selbst zu befreien.
Amalie Skram war die bedeutendste naturalistische Autorin Nordeuropas (1846-1905). Sie und ihr Werk wieder zu entdecken, macht erlebbar und verständlich, unter welchen oft unerträglichen gesellschaftlichen Bedingungen Frauen im 19. Jahrhundert gelebt haben. Ihre Bücher erzählen nicht nur, sie legen Zeugnis ab. —
Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger
Transparenz: Das Rezensionsexemplar wurde vom Verlag dankenswerterweise zur Verfügung gestellt. Kein Honorar.