Jung und dement
Wenn das Leben plötzlich ausser Kontrolle gerät
Esther Hürlimann
Stämpfli Verlag AG Bern
168 Seiten
ISBN 978-3-7272-6090-2
Mit einem Buch wie diesem machen zwei Menschen, die als Angehörige betroffen sind, darauf aufmerksam, was die sogenannte Frontotemporale Demenz, auch FTD genannt, in ihrem Leben bedeutet und bedeutet hat. Was zu Beginn als seltsame Eigenheit ihrer PartnerIn erlebt wird, zu Konflikten führt und zu Unverständnis, was denn da jetzt los sei, verdichtet sich nach und nach. Sorge wechselt mit Ungeduld oder Verzweiflung. Die Erkenntnis von Nathalie: „Du kannst diese Krankheit nicht rückgängig machen, sondern musst das Unabdingbare geschehen lassen“ beschreibt, welchen Weg Nathalie und Thomas, die beiden Angehörigen, zu bewältigen hatten. Zugleich aber auch, wie es ihren erkrankten Partnerinnen ging, die in der Spirale der Erkrankung gefangen waren.
Der schwierige Weg für alle, sich zwischen den Unsicherheiten, worum es sich wirklich handelt, welche Diagnosen richtig sind oder in die Irre führen, und der Gewißheit zu bewegen, dass die Suche nach der richtigen Behandlung die einzige Chance war, das was noch möglich ist, zu gestalten, hat unendlich viel Kraft erfordert.
Alle, PartnerInnen, Kinder, Eltern, Freunde geraten im Verlauf der Erkrankung immer wieder an die Grenzen des Aushaltbaren. Sich gegenseitig zu stützen, kann eine Zeit lang gelingen. Bis zu dem Tag, an dem es nicht mehr geht. Sich vor der Situation zu sehen, dass ein Zusammenleben nicht mehr möglich ist, reißt neue Wunden auf. Schuldgefühle, der Versuch, das bestmögliche für ihre kranken Angehörigen zu machen, das sie aber als das Schlimmste erleben, all das steht an. Als pflegende Angehörige sich manchmal auch in den Kliniken oder Pflegeeinrichtungen alleingelassen zu fühlen, in den eigenen Familien das Auseinanderdriften zu erleben, hinterläßt tiefe Spuren. Am ehesten gab es die so notwendige psychosoziale und soziale Unterstützung in betreuenden Organisationen, die bereits für das Thema frontotemporale Demenz kompent vorbereitet sind. Der letzte Weg dann, ihre kranke PartnerIn in eine Pflegeeinrichtung zu bringen, zum Schutz aller Beteiligten, ist die Einleitung zum Schlussakkord. Das Weiterleben danach braucht noch viel Kraft und Zeit, um wieder im Hier und Jetzt anzukommen.
Wie zwei Menschen diesen Weg gegangen sind, einander auf diesem Weg auch gefunden haben und dann ein gemeinsames neues Leben begonnen haben, ist keine romantische Story sondern ein authentischer Bericht. Sie stützen einander auch in ihrem Engagement, für die an FTD erkrankte Menschen raschere und bessere Hilfe zu schaffen, Brücken zu schlagen, um diesen schweren Weg besser gehen zu können.
Ihre Berichte hat Esther Hürlimann und die Interviews der ExpertInnen zu einem eindringlichen, bewegenden Buch verwoben. —
Text: Birgit Meinhard-Schiebel, Präsidentin der Interessengemeinschaft pflegender Angehöriger
Transparenz: Das Belegexemplar wurde dankenswerter Weise vom Verlag zur Verfügung gestellt. Kein Honorar.