Die gegenwärtige Corona-Krise stellt die Verantwortlichen in Einrichtungen, die dem HeimAufG unterliegen, vor große Herausforderungen. Sie sind mit unterschiedlichen Fragen konfrontiert:
Wer setzt freiheitsbeschränkende Maßnahmen nach den sanitätspolizeilichen Vorschriften in ihren Einrichtungen um? Sind Beschränkungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus und Freiheitsbeschränkungen gemäß HeimAufG nebeneinander möglich? ******
Gesundheitsbehördliche Beschränkungen in Pflege- und Betreuungseinrichtungen
Nach Vornahme einer positiven Testung auf COVID-19 verfügt die Gesundheitsbehörde über eine bestimmte Person (und allfällige Kontaktpersonen) gem § 7 Abs 1a Epidemiegesetz (EpG) eine Absonderung (Isolierung) oder eine sonstige Bewegungsbeschränkung (Besuchs- und Kontaktverbot). Es handelt sich hier um individuelle Beschränkungen, die in der Regel mit Bescheid angeordnet werden.
Die betroffenen Personen haben grundsätzlich die behördlichen Anordnungen selbst umzusetzen. Das Einrichtungspersonal ist jedoch aufgrund seiner Schutz- und Fürsorgepflichten und seiner Garantenstellung verpflichtet, die hilfebedürftigen Patienten bei der Umsetzung dieser Maßnahmen im Interesse aller Bewohner zu unterstützen.
Allerdings sind der Mitwirkung des Heimpersonals bei der Umsetzung behördlich verfügter Maßnahmen Grenzen gesetzt, und zwar dort, wo es zur Anwendung von Zwang kommt, insbesondere bei körperlicher Gewalt, wie zB der Hinderung am Verlassen der Einrichtung.
Vorgangsweise des Einrichtungspersonals bei psychisch kranken Bewohnern
Treffen gesundheitsbehördliche Maßnahmen psychisch kranke bzw kognitiv beeinträchtigte Bewohner, die sich nicht an die angeordneten Beschränkungen halten können oder wollen, bieten sich für das weitere Vorgehen des Personals mehrere Möglichkeiten an.
Anforderung der Polizei
Das Personal könnte die für die (zwangsweise) Umsetzung der behördlichen Maßnahmen zuständige Polizei zu Hilfe rufen (siehe § 28a Abs 1 EpG). Der Einsatz der Polizei in einer Pflege- und Betreuungseinrichtung erscheint jedoch weder aus Sicht der Bewohner noch aus Sicht der Pflege angebracht.
Kontaktaufnahme mit der Gesundheitsbehörde
Die vom Einrichtungspersonal informierte Gesundheitsbehörde kann – nur als letztes Mittel – die Unterbringung des kranken Bewohners in einer Krankenanstalt anordnen. Sie könnte aber auch gem § 28a Abs 1 EpG die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ersuchen, die vorgesehenen Maßnahmen durchzuführen. Voraussetzung dafür ist, dass die Behörde durch adäquate Schutzmaßnahmen deren Gesundheitsgefährdung begegnen kann („Gesundheitsvorbehalt“ gem § 28a Abs 2 EpG).
Anordnung einer Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG
Kommen die vorgenannten Alternativen nicht zum Tragen, muss das Einrichtungspersonal von sich aus prüfen, ob eine konkrete Gefahr für die betroffenen Bewohner besteht. Trifft das zu, dann muss eine anordnungsbefugte Person zu deren Schutz und zum Schutz der anderen Bewohner Freiheitsbeschränkungen anordnen. Die Rechtsgrundlage hierfür bilden die §§ 4 und 5 HeimAufG.
Maßnahmen der Einrichtungsträger
Das Gesundheitsministerium hat aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie unter anderem empfohlen, (FN 1) beim Auftreten von Corona-Verdachtsfällen die Betroffenen sofort zu isolieren. Diese Empfehlungen enthalten wichtige fachliche Anleitungen für das praktische Vorgehen des Personals, stellen jedoch keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Anordnung und Vornahme freiheitsbeschränkender Maßnahmen (wie Isolierung/Quarantäne) dar. Hierfür bedarf es eines Rückgriffs auf § 4 HeimAufG.
Einerseits stellt das Coronavirus für alte, chronisch kranke Menschen eine besondere Gefahr dar. Andererseits ist das Befolgen von Hygienemaßnahmen, Maskenpflicht und 1m-Abstand für Menschen mit Demenz häufig de facto nicht umsetzbar. Aus diesen Gründen sehen die Träger von Pflegeheimen und anderer Einrichtungen mitunter bestimmte Vorsichtsmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers vor.
So werden beispielsweise Bewohner nach ihrer Rückkehr aus einem Krankenhaus sowie neu in den Heimen aufgenommene Personen aufgrund der potentiellen Ansteckungsgefahr für einen gewissen Zeitraum (wegen der Inkubationszeit zumeist zwei Wochen) von den anderen Heimbewohnern in einem eigenen Quarantänebereich präventiv isoliert, ohne dass eine positive Testung/COVID-19-Infektion oder ein konkreter Ansteckungsverdacht vorliegt.
Angesichts der derzeit grassierenden Corona-Pandemie kann man die (ernstliche und erhebliche) Gefährdung für die Betroffenen und für andere Personen wohl als ausreichend konkret ansehen. Sofern die übrigen Voraussetzungen gem § 4 HeimAufG vorliegen und es keine schonenderen Maßnahmen („intelligente Lösungen“) gibt, erscheint die Anordnung einer Freiheitsbeschränkung zulässig.
Eine Langversion zu diesem Thema findet sich in der ÖZPR 3/2020: Zierl, Freiheitsbeschränkungen und COVID-19 (in Druck).
Zum Autor
HR Dr. Hans Peter Zierl, Bezirkshauptmann von Freistadt a. D.
Fußnote(n)
1)
https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus–Fachinformationen.htm.
Meta-Daten
Rechtsgebiet(e)
Gesundheitsrecht; Heimaufenthaltsrecht
© 2020 MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH
Quelle: „Hans Peter Zierl, Freiheitsbeschränkung und COVID-19, CuRe 2020/60“.
Danke an Eduard Lesjak für das Foto der künstlerisch gestalteten Gesichtsmaske. http://www.lesjakeduard.com
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